Alles fällt auseinander

Revolutionäre Zusammenbrüche.

Vor 1989 war die Fertigung hinter dem Eisernen Vorhang ein Eckpfeiler der langfristigen Einkaufsstrategie von IKEA. Hier wurde Ingvar Kamprad in den 1960ern fündig, als er von den Möbelproduzenten und der gesamten schwedischen Möbelbranche boykottiert wurde. In Planwirtschaften wie Polen gab es Rohstoffe zu günstigen Preisen sowie Staatsbetriebe mit hohen Kapazitäten und einem großen Interesse an Geschäften mit dem Westen, da die östlichen Währungen weder im Westen verwendet noch gegen Dollar getauscht werden konnten. IKEA investierte große Summen in heruntergekommene Fabriken, installierte Maschinen und Ersatzteile und schulte die Belegschaft. Was geschah also, als der Eiserne Vorhang plötzlich fiel?

Im Dezember 1989 saß Rutger Ulterman in einem Büro in Bukarest und versuchte, einen letzten Deal in trockene Tücher zu bringen, bevor er zum Flughafen eilte. Die Berliner Mauer war gerade gefallen, ebenso wie das Regime der damaligen Tschechoslowakei. Der rumänische Diktator Ceaușescu klammerte sich noch immer an die Macht und die Situation war sehr angespannt.

„Unser Volvo 245 stand draußen und wartete und wir mussten spätestens 15 Uhr aufbrechen, um rechtzeitig die Sicherheitskontrollen am Flughafen zu passieren“, erzählt Rutger. „Punkt 15 Uhr wollte die rumänische Seite dann eine weitere Änderung am Vertrag vornehmen. 15:30 Uhr rannten wir die Treppen hinunter und der Vertrag wurde auf der Motorhaube des Volvos unterzeichnet. Anschließend fuhren wir mit 160 km/h durch die leeren Straßen von Bukarest. Wir wurden nicht von der Polizei angehalten und schafften es, den allerletzten Flug zu erwischen. Fünf Tage später wurde Ceaușescu erschossen. Das war das große Finale des Zusammenbruchs des Ostblocks.“

Demonstranten in Alltagskleidung auf einer breiten Straße. Sie heben ihre Fäuste gegen eine Polizeikette in voller Montur.
Als die Volksproteste (hier in Bukarest 1989) zum Zusammenbruch des Ostblocks führten, fielen auch die alten Strukturen und Einkaufsstrategien von IKEA in sich zusammen. Foto: Nationalmuseum für die Landesgeschichte Rumäniens (MNIR) über das Projekt „Kommunismus in Rumänien“.

Als Rutger später nach Rumänien zurückkehrte, war eine neue Regierung an der Macht und die Dinge hatten sich völlig verändert. „Alles war anders für die Menschen, aber natürlich auch für die Unternehmen. Niemand wusste etwas“, erinnert sich Rutger. „Wer leitete die Fabriken? Wo waren die Rohstoffe? Die Maschinen? Die Ersatzteile? Wer tat was und wem gehörte was?“ Håkan Eriksson, damaliger Einkaufsleiter für IKEA in Polen, teilt diese Erinnerung. „Wir waren völlig ratlos!“

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 1980er kamen bei IKEA Fragen auf. Warum wurden Geschäfte mit undemokratischen und totalitären Regimen gemacht? Dies führte später zu internen Veränderungen und letztlich zu einem neuen Verhaltenskodex.

Sieben Männer in formeller Kleidung der 1980er stehen lachend auf einem Fabrikparkplatz.
Einkaufstour in der Tschechoslowakei, 1991. Von links: Kurt Wirland, Bengt Erlandsson, Ingvar Kamprad, Bengt Salomonsson, Jan Aulin, Gunther Watzinger und Nils Larsson.
Nahaufnahme einer Lüftung an einer Wand mit hellblauer Tapete.
Vor dem Zusammenbruch des Ostblocks mussten ausländische Besucherinnen und Besucher, z. B. von IKEA, damit rechnen, von der Geheimpolizei überwacht zu werden, wie hier in einem rumänischen Hotelzimmer im Jahr 1980, wo Abhörtechnik in einem Lüftungsschacht versteckt war.

Ein heiliger Grundsatz wird aufgegeben

Mit der Revolution brachen die alten Strukturen und damit auch die Einkaufsstrategien von IKEA in sich zusammen. Die Preise verdoppelten sich und Lieferungen blieben aus. Staatliche Subventionen fielen weg und Fabriken wurden geschlossen oder bekamen ein komplett neues Management mit neuen Regeln. IKEA sandte Mitarbeitende in die desorientierten, befreiten Länder. Sie suchten verzweifelt nach Lösungen und neuen Geschäftsmöglichkeiten – aber ohne Erfolg. Schließlich begannen viele einen der heiligsten Grundsätze des Unternehmens zu hinterfragen: niemals etwas selbst zu produzieren. „IKEA sollte nicht von IKEA kaufen“, erklärt Jörgen Svensson, damaliger Business Area Manager für Essplatz- und Schlafzimmermöbel. „Tja, dieses Prinzip löste sich in Luft auf. Wir mussten komplett umdenken.“

Ingvar Kamprad schüttelt die Hand eines Mannes im Anzug. Außenbereich eines Industriegeländes. Zwei Männer schauen zu.
Anfang der 1990er reisten Ingvar Kamprad und seine Mitarbeitenden quer durch Osteuropa und suchten fieberhaft nach Lösungen für die Produktions- und Einkaufskrise. Dies führte zu einigen dramatischen Veränderungen bei IKEA.

Eine dramatische Entwicklung

Ingvar Kamprad wollte zunächst nicht, dass IKEA eigene Fabriken unterhielt, und wäre lieber Joint Ventures mit lokalen Unternehmen eingegangen. Erst, als er umherreiste und sich ein Bild von der Lage machte, änderte er seine Meinung. „Am Ende stand immer die Frage: Wie betreiben wir ein Joint Venture mit einem Unternehmen, das über keine finanziellen Mittel verfügt?“, erinnert sich Håkan Eriksson, Einkaufsleiter Polen.

Also wurde eine Entscheidung getroffen: IKEA brauchte eigene Produktionskapazitäten und ‑fertigkeiten, wenn es weiterhin in den ehemaligen Ostblockstaaten aktiv sein wollte. „Wir kauften gute Unternehmen mit Mitarbeitenden, die sich in der Produktion auskannten, wie die Alltra AB und deren Werke, aus der 1991 schließlich die Swedwood AB hervorging. Damit war der Grundstein für den Industriekonzern gelegt, den IKEA bis heute für eine eigene Produktion aufgebaut hat. Es war einer der dramatischsten Veränderungsprozesse in der Geschichte des Unternehmens und sollte für unsere künftigen Wachstumsmöglichkeiten von entscheidender Bedeutung sein“, erklärt Jörgen Svensson.

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