Vielleicht Möbel?

Polstermöbel und Pfiffigkeit.

Gegen Ende der 1940er begann IKEA, Möbel zu verkaufen, und schnell sollte sich diese Sparte zum neuen Hauptgeschäft entwickeln. Die Einstellung, jede Herausforderung auch als Chance zu begreifen, führte zu allerhand Innovationen in den Bereichen Einkauf, Finanzen und Distribution. Der Grundstein hierfür wurde bereits viele Jahre zuvor gelegt, als Ingvar Kamprad im kleinen Rahmen Stifte und Pfeifen auf dem elterlichen Bauernhof verkaufte. Doch das Potenzial und die Möglichkeiten, die sich aus der Lücke zwischen Kundschaft und herstellenden Betrieben ergaben, entfalteten sich erst in den 1950ern.

Anfangs bewahrte Ingvar seinen Bestand an Stiften, Uhren und Strümpfen auf dem Bauernhof der Kamprads in Elmtaryd auf. Bestellungen gingen per Post oder Telefon ein und wurden in den Abendstunden von Ingvar verpackt. Seine Familie half ihm dabei. Der Paketversand war damals genauso simpel wie genial. Jeden Morgen hielt der Milchwagen am Bauernhof, um die Milch zur Molkerei zu bringen. Ingvar hatte sie dazu überredet, auch seine Pakete mitzunehmen und im Postamt oder am Bahnhof abzugeben. Nachdem er einige Jahre lang Stifte, Uhren und Strümpfe verkauft hatte, erkannte Ingvar Kamprad das Potenzial, das im Möbelversand lag. Und da der Verkauf von Stiften ein finanzieller Erfolg gewesen war, hatte er ein kleines Startkapital zur Verfügung. Doch die Branche hatte es in sich. So richtig in sich. Um zu überleben, musste er mutig sein und neue Wege beschreiten – eine Vorgehensweise, die sein Markenzeichen werden sollte.

Doch bevor wir uns anschauen, was Ingvar Kamprad in den späten 1940ern unternahm, wollen wir einen kurzen Blick auf die Ereignisse werfen, die in Schweden in den Jahren unmittelbar davor stattgefunden hatten. Wie ganz Europa war auch Schweden von der Weltwirtschaftskrise der 1930er betroffen. Der Kreuger-Crash fachte die wirtschaftlichen Probleme in Schweden zusätzlich an. Doch der Wahlsieg der Sozialdemokratischen Partei 1932 markierte den Beginn einer neuen Ära, in der die Politik mit Investitionen statt mit Sparmaßnahmen auf die Krise reagierte. Aus dieser Idee wurde der Wohlfahrtsstaat geboren, aus dem schließlich das Konzept des Folkhemmet (wörtlich „das Volksheim“) hervorging, bei dem der Staat allen, die Wohneigentum erwerben wollten, günstige Kredite gewährte. Die Regierung investierte also in die Menschen und ihr Zuhause. Land und Leute, die von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs größtenteils verschont geblieben waren, blickten hoffnungsvoll in die Zukunft. Als der junge Ingvar Kamprad also beschloss, sich im Möbelgeschäft zu versuchen, geschah dies in einem relativ positiven Klima. In einer Zeit des Zukunftsglaubens, in der das Zuhause der Menschen einen hohen Stellenwert genoss. In der die Nachfrage nach Möbeln wuchs und die Menschen etwas Geld übrig hatten, um sich ihr Zuhause einzurichten.

1948, fünf Jahre, nachdem das Unternehmen IKEA eingetragen wurde, wurden die allerersten Möbel in einer kleinen Broschüre beworben. Einige Sessel und ein paar Tische wurden einer Bevölkerung präsentiert, die sich Möbel für ihre eigenen vier Wände wünschte und sich diese auch leisten konnte. IKEA verkaufte weiterhin Kristallschmuck und Aktentaschen aus argentinischem Leder, doch die Möbel brachten letztlich den Erfolg. In der nächsten Broschüre waren noch mehr Möbel zu sehen – eine Schlafcouch von Elfs Möbler in Älmhult und ein Kristallkronleuchter von Örsjö. Alles war ausverkauft. Die Kundinnen und Kunden bestellten per Coupon und die Fabriken lieferten die Ware.

Vergilbte Seite des IKEA Katalogs mit Bildern von Koffern und Aktentaschen, 1948-49.
Seite aus dem IKEA Katalog mit Bildern zweier geblümter Sessel, 1948-49.
Der Schritt von Aktentaschen aus argentinischem Leder zu bequemen Sesseln war für Ingvar nicht allzu groß. Möbel erhielten nach und nach immer mehr Platz in seiner Broschüre und einige Jahre später erschien der erste IKEA Katalog, der ausschließlich Möbel und Einrichtungsgegenstände umfasste.

In der ikéa-nytt-Ausgabe von 1948–1949 spricht Ingvar über die Kombination aus niedrigem Preis und hoher Qualität. Manche Lieferanten schummeln bei der Qualität, um die Preise niedrig zu halten. Dies sei jedoch nicht die Vorgehensweise von IKEA, versichert er. Zumindest sofern nicht die Kundinnen und Kunden bereit sind, zugunsten noch niedrigerer Preise kleine Abstriche bei der Qualität in Kauf zu nehmen. Doch „da wir mit sehr kleinen Gewinnspannen kalkulieren, können wir Preise anbieten, die im Verhältnis zur Qualität äußerst wettbewerbsfähig sind“. In der Broschüre erläutert Ingvar, wie es gelingt, die Preise so niedrig zu halten. „Unsere niedrigen Preise – die mit Abstand niedrigsten im Land – werden ermöglicht durch einen hohen Umsatz, die direkte Lieferung ab Werk und sehr niedrige Gemeinkosten.“ Die niedrigen Gemeinkosten hatte er seiner Familie zu verdanken. Sie packten alle mit an und halfen beim Versand und der Verwaltung. Und sie leisteten ganze Arbeit. Dennoch musste das Unternehmen 1948 den ersten Mitarbeiter einstellen, Ernst Ekström, der sich fortan um die Buchhaltung kümmerte.

Fünf gestapelte Stoffballen in Schwarz und Grau.
Schneiden, schneiden, schneiden. Die ganze Familie musste mit anpacken, als Ingvar Kamprad die Textilien für alle seine Polstermöbellieferanten beschaffte.

Aber wie konnten die Gemeinkosten noch weiter gesenkt werden? Ließ sich z. B. der Einkauf weiter rationalisieren? Möbelstoffe erwiesen sich als ein Bereich, in dem Geld gespart werden konnte, ohne Abstriche bei der Qualität machen zu müssen. Alle Polstermöbel bei IKEA wurden ohne Bezug verkauft. Die Kundinnen und Kunden konnten den Bezug für ihren Sessel oder ihr Sofa selbst wählen. IKEA bot eine begrenzte Auswahl an geeigneten Möbelstoffen an, und falls sie sich unsicher waren, schickte ihnen IKEA ein kleines Stoffmuster zu. Der Schlüssel lag im begrenzten Sortiment an Möbelstoffen, was höhere Volumina ermöglichte, und höhere Volumina bedeuten niedrigere Preise. Einfach genial. Doch das war noch nicht alles. Was wäre, wenn IKEA die Stoffe für seine Polstermöbellieferanten direkt von den Textilfabriken kaufen würde? Noch höhere Volumina und noch niedrigere Preise wären die Folge. Ingvar begriff, dass einzelne Lieferanten niemals in der Lage wären, derartige Mengen zu bestellen. Der Preis sank, doch die Qualität blieb gleich. Perfekt. Also kaufte Ingvar die Möbelstoffe direkt bei den Textilfabriken und lagerte sie zu Hause in Elmtaryd. Wenn eine Bestellung für einen Sessel einging, wurden die Stoffteile entsprechend zugeschnitten und an die Möbelwerke geschickt. Und wer übernahm das Schneiden, um die Kosten noch weiter zu senken? Natürlich Ingvar selbst und seine Familie.

Mann beim Zuschneiden von Stoffen mit Textilschneider, 1940er.
Nahaufnahme, Mann bearbeitet hölzernes Möbelteil mit Schleifmaschine, 1940er.
Von Anfang an war Ingvar Kamprad fasziniert von der Frage, wie sich die Effizienz steigern ließe. Bei seinen Gesprächen mit Herstellern ging es oft darum, wie alle Materialien möglichst sparsam eingesetzt werden konnten. Schnell merkte er, dass bei großen Mengen bereits kleinere Konstruktionsänderungen eine enorme Wirkung erzielen konnten.

Ingvar arbeitete eng mit den Möbelwerken zusammen. Sie profitierten von seinen Ideen rund um Einkauf und Effizienz und ließen sich wahrscheinlich von seinem Enthusiasmus anstecken. Einmal bat Ingvar ein dänisches Möbelwerk darum, die Sitzfläche eines Stuhls einen Zentimeter kürzer zu machen. Dies hatte keinen Einfluss auf den Sitzkomfort oder das Aussehen des Stuhls, wohl aber auf den Stoffverbrauch. Wäre die Sitzfläche nur geringfügig kürzer, könnte der Stoff etwas effizienter und mit etwas weniger Abfall genutzt werden. Natürlich war der Gewinn bei einem einzigen Stuhl nicht sonderlich groß, aber ab einer Stückzahl von 100 oder 1000 Stühlen hat dieser Zentimeter eingesparter Stoff eine beachtliche Auswirkung.

Ab 1949 verschickte Ingvar Kamprad hin und wieder eine Beilage in der wöchentlichen Landwirtschaftszeitung Jordbrukarnas Föreningsblad. Ikéa-nytt hatte sich zuvor primär an Händler gerichtet, nun nahm IKEA erstmals die breite Öffentlichkeit in den Blickpunkt. Die Beilage erschien in einem Medium mit einer Auflage von 285.000 Exemplaren. Und was war die Botschaft? Tolle Produkte zu niedrigen Preisen? Teilweise. Thema war der Alltag der vielen Menschen und der Text enthielt eine Botschaft an die Landbevölkerung. Eine Art Zukunftsmanifest.

Faksimile, schwedische Zeitungsmeldung, Ikéa-nytt, Preisliste Herbst, Winter 1949-1950 für „Landbevölkerung“.
„Sicher haben auch Sie gemerkt, dass es nicht leicht ist, über die Runden zu kommen. Woran liegt das? Sie produzieren Güter verschiedenster Art (Milch, Saatgut, Kartoffeln, Forstprodukte usw.) und ich nehme an, dass Sie nicht viel Geld dafür erhalten. Ganz gewiss nicht. Und dennoch ist alles so unerhört teuer. Dies liegt vor allem an den Zwischenhändlern. Überlegen Sie nur einmal, wie viel Geld Sie für ein Kilo Schweinefleisch bekommen und was dieses in den Läden kostet … In vielen Bereichen ist es leider so, dass ein Produkt, das in der Herstellung 1 Krone kostet, in den Läden für 5, 6 oder gar mehr verkauft wird.“

Viele Jahre später kommentierte Ingvar den Text und sagte, dass er für die vielen Menschen etwas bedeuten wollte. Die Bauern und kleinen Geschäftsleute, mit denen er aufgewachsen war. Menschen, deren Alltag er in seiner Kindheit erlebt und denen er seinen Fisch und seine Streichhölzer verkauft hatte. Hart arbeitende Menschen, die ihr Geld – und ihr Vertrauen – mit Bedacht einsetzten.

Das Versandgeschäft ging weiter, doch bald stand IKEA am Scheideweg. Die Kundschaft war hart umkämpft und der Preis erwies sich als das einzige Mittel, um die Mitbewerber hinter sich zu lassen. Die anderen Möbelversandhändler unterboten sich ständig gegenseitig. Wenn seine Mitbewerber ein Produkt von 50 auf 45 Kronen (von 5 auf 4,50 EUR) reduzierten, musste Ingvar seinen Preis noch weiter senken. Und die Mitbewerber reagierten daraufhin mit noch niedrigeren Preisen. Für Kundinnen und Kunden sind niedrige Preise in der Regel eine tolle Sache, aber in diesem Fall wirkte sich der Preiskrieg nachteilig auf die Qualität aus, die sich immer weiter verschlechterte. So verlor der niedrige Preis letztlich seinen Sinn. Die Preise waren niedrig, doch die Möbel waren von zu schlechter Qualität. Es gingen immer mehr Beschwerden und Rücksendungen bei IKEA ein. Der Versandhandel erlitt einen Imageschaden und IKEA lief Gefahr, in den Strudel hineingerissen zu werden. Das Problem des Versandhandels bestand darin, dass die Menschen die Produkte nicht ausprobieren, anfassen und fühlen konnten. Die Menschen wollten die Produkte sehen und sich selbst ein Bild von der Qualität machen. Ihre Kaufentscheidung mussten die Kundinnen und Kunden allein anhand der – manchmal arg beschönigenden – Beschreibungen in den Broschüren treffen. Was konnte IKEA tun, um zu überleben? Gab es neue Ideen, die nur darauf warteten, ausprobiert zu werden? Konnte IKEA das Vertrauen der Kundinnen und Kunden behalten und gleichzeitig Geld verdienen?

Über diese Fragen diskutierten Ingvar Kamprad und Sven-Göte Hansson eine lange Zeit. Sven-Göte war im Frühling 1951 als Bürokaufmann angestellt worden und Ingvar bezeichnete ihn später als einen der wichtigsten Mitarbeitenden aller Zeiten. Mit Sven-Göte konnte er praktisch alles rund um IKEA besprechen. Bei einem dieser langen Gespräche nahm die Idee einer Dauerausstellung von Möbeln Gestalt an. Was, wenn die Menschen die Möbel, die sie aus der Broschüre kannten, vor Ort anschauen könnten? Sie könnten IKEA mit anderen Möbelhändlern vergleichen und sich davon überzeugen, dass die preiswerten Produkte tatsächlich von hoher Qualität waren. Eine Möbelausstellung könnte eine Möglichkeit sein, aus der Abwärtsspirale aus immer niedrigeren Preisen für immer schlechtere Qualität auszubrechen. Während Ingvar und Sven-Göte all dies durch den Kopf ging, kam ihnen zu Ohren, dass die Tischlerei Albin Lagerblad in Älmhult geschlossen werden sollte. Ingvar verlor keine Zeit. Dazu trug auch bei, dass der Milchwagen beschlossen hatte, sich nur noch auf Milch zu konzentrieren, und das wachsende Volumen an IKEA Paketen nicht mehr bewältigen konnte. Mit dem Umzug des Unternehmens vom Bauernhof auf dem Lande nach Älmhult, in unmittelbarer Nähe zu Bahnhof und Postamt, wurde auch dieses Problem gelöst.

Das Lagerblad-Gebäude wurde zu einer Art Labor für Ingvar und seine Vertriebsideen. Hier gab es viel Platz, um den Besucherinnen und Besuchern die Möbel zu präsentieren. Ja, sogar genug Platz, um ein Sofa und ein paar Sessel zu arrangieren, einen Teppich auszulegen und einen Couchtisch und eine Leuchte dazuzustellen, sodass sich die Kundschaft ein Bild davon machen konnte, wie die Möbel zu Hause aussehen könnten. Die ehemalige Tischlerei wurde ausgeräumt, aufgehübscht und frisch gestrichen und die Böden wurden ausgebessert und verstärkt. Jetzt war alles für die Möbelausstellung bereit.

Großes, heruntergekommenes Gebäude. Davor Parkplatz mit Autos der 1940er.
Die heruntergekommene Tischlerei Albin Lagerblad in Älmhult war Schauplatz der ersten Möbelausstellung von IKEA, die im März 1953 ihre Pforten öffnete. Das Äußere mag wenig beeindruckend gewesen sein, doch im Inneren wartete eine Sensation.

1952 erschien die letzte Ausgabe von ikéa-nytt. Darin wurde bekanntgegeben, dass IKEA von nun an nur noch Möbel und Einrichtungsgegenstände verkaufen würde. Die Uhren, Aktentaschen und Stifte sowie der Schmuck wurden zu reduzierten Preisen verkauft, um Platz für Möbel zu schaffen. Auf der Rückseite der Broschüre gab es einen Coupon, mit dem die Kundinnen und Kunden den ersten IKEA Katalog bestellen konnten, der ausschließlich Möbel enthielt.

Das Lagerblad-Gebäude öffnet seine Pforten am 30. März 1953. Der insgesamt junge Stil stößt auf reges Interesse. IKEA bietet „Das Zuhause deiner Träume zu traumhaften Preisen“ und lockt Menschen aus ganz Schweden an. Bei der Provinzialverwaltung wird die Erlaubnis eingeholt, die Öffnungszeiten zu verlängern, um die Menschen dann begrüßen zu können, wenn sie Zeit zum Shoppen haben. Samstags ist das Einrichtungshaus bis 20 Uhr geöffnet. Viele in Älmhult schütteln indes den Kopf über das seltsame Unterfangen – das wird sicherlich nicht lange anhalten! Doch die Kundinnen und Kunden strömen herbei. Und Ingvar Kamprad kann sich nun mit Fug und Recht als Möbelhändler bezeichnen. Damit war der Grundstein für IKEA gelegt, so wie wir es heute kennen. Ein Katalog mit Texten und Bildern lockte die Menschen zu einer Ausstellung, wo sie die Möbel sehen, fühlen und ausprobieren konnten – Möbel, die anschließend zu ihnen nach Hause geliefert wurden.

Dies ist der Zeitpunkt, an dem IKEA als Unternehmen wirklich Gestalt annimmt. Die Tugenden der Familie aus Elmtaryd – Sparsamkeit, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein – wurden auf das winzige Büro in Älmhult übertragen.

Verbunden

Vielleicht Möbel?
0:00 / 0:00